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Rollenspiel

Raum zum Üben

Nach dem Kerncurriculum für die Oberschule im Fach Wirtschaft (Niedersachsen) können Schülerinnen und Schüler mit Rollenspielen bestimmte Verhaltensweisen einüben, verschiedene Standpunkte einnehmen, Lösungsstrategien für Problem- und Konfliktsituationen entwickeln, eigene Interessen vertreten und gesellschaftliche Konflikte verdeutlichen.

Die Schülerinnen und Schüler …

  • führen am Ende von Schuljahrgang 9 ein Rollenspiel angeleitet durch.
  • entwickeln und führen am Ende von Schuljahrgang 10 ein Rollenspiel selbstständig durch.
Definition

„Das Rollenspiel ist geeignet, gesellschaftliche Konflikte und Interessengegensätze zu verdeutlichen, soziale Verhaltensweisen einzuüben und Lösungsstrategien zu entwickeln und zu erproben. Rollenspiele konfrontieren [die Lernenden] mit einem vorgegebenen Konflikt oder einer Problemsituation, der/die durch spielerisches Handeln bewältigt werden soll.“ (Kaminski 2017, 265).

Hintergrund

Der Begriff „Rollenspiel“ wird aus historischer Sicht dem griechischen Schauspiel zugeordnet. Damals wurde der Ablauf eines Schauspiels auf Papierrollen geschrieben, damit die Besucher das Geschehen besser verstehen und die Geschehnisse in der Arena besser verfolgen konnten (Peterssen 1999, 255). In der neueren Literatur werden die beiden Bestandteile des Begriffs – die Rolle und das Spiel – betrachtet. Das Wort „Rolle“ stammt ursprünglich vom lateinischen „rotulus“ (Gedrehtes) ab und wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts von den nordamerikanischen Soziologen Merton und Parsons in den Mittelpunkt der soziologischen Theoriebildung gestellt (Meyer 1987, 357). Eine „soziale Rolle“ wird als ein Bündel von Erwartungen von sozialen Systemen (z. B. Institutionen, Gruppen) an das Verhalten der Rollenträger verstanden (Peterssen 1999, 255). So können Individuen bspw. „eine Rolle spielen bzw. übernehmen“, „aus der Rolle fallen“ oder „in ihrer Rolle ganz aufgehen“. Nach der traditionellen Rollentheorie ist das Rollenhandeln umso funktionaler, je deutlicher die Rollenvorschrift mit dem tatsächlichen Verhalten übereinstimmt.

Der interaktionistische Begriff dagegen, der sich auf der Grundlage des Symbolischen Interaktionismus (Krappmann) und der kritischen Gesellschaftstheorien entwickelte, geht von einem Spielraum für subjektive Interpretationen der Rollenspieler bei der Übernahme sozialer Rollen aus (Meyer 1987, 357). Rollennormen sind nicht eindeutig festgelegt, sondern können auch widersprüchlich sein und in Kontrast zu den Bedürfnissen und Vorstellungen der Rolleninhaber stehen. Für eine konstruktive Rollenspielpraxis ist damit der interaktionistische Begriff besonders bedeutsam, da er eine aktive, selbstbestimmte Auseinandersetzung mit Normen und Werten sowie eine flexible und kreative Rollenübernahme ermöglicht. Daneben kleidet das Rollenspiel Lernprozesse in eine Spielform, sodass unterrichtliches Tun zu einem reizvollen Tun wird, das Freude und Spaß macht. Das Spiel „ist aus der Freiheit geboren, verschafft Spannung, Freude und Glück und setzt einen anderen Wertmaßstab, als er sonst im Leben gilt. Es verfolgt keinen unmittelbaren praktischen Zweck, weist nicht über sich hinaus.“ (Kaiser/Kaminski 2012, 131)

Im Unterricht sind Rollenspiele eine gute Methode, um die soziale Wirklichkeit mit ihren möglichen Konfliktfeldern im Modell darzustellen und diese Konflikte spielerisch auszutragen, wobei die negativen Folgen des Ernstfalles ausgeblendet werden können. Im Rollenspiel geht es um Verhaltenstraining, um das unmittelbare Reagieren auf das Handeln anderer. Sie können nach Meyer (1987, 362 f.) in unterschiedlichen unterrichtlichen Zusammenhängen zum Einsatz kommen. In der Einstiegsphase dienen sie als Impuls, um die Lernenden für ein neues Problemfeld bzw. Thema zu sensibilisieren und Spannung zu erzeugen, sodass die Lernenden zum Lernen motiviert sind. Als schüleraktive Methode zielen sie in der Erarbeitungsphase auf Verhaltens- und Entscheidungstraining in komplexen Problemsituationen. Neben dem Wissenserwerb steht auch die Anwendung der erworbenen Kompetenzen im Mittelpunkt. Mit der Methode des Rollenspiels sollen die Mitspielenden durch die spielerische Bewältigung einer realitätsnahen, vorgegebenen Problemsituation auf Konflikte und Entscheidungssituationen des gesellschaftlichen Lebens vorbereitet werden. Schließlich kann das Rollenspiel zur Kontrolle des Lernerfolgs eingesetzt werden

Beschreibung

In Anlehnung an Kaminski (2017, 266) kann der idealtypische Verlauf eines Rollenspiels wie folgt dargestellt werden:

(1) Informationsphase

  • Aufwärmen der Gruppe
  • Konfrontation mit dem Problem
     

(2) Vorbereitungsphase für das Rollenspiel

  • Konfliktsituation darstellen
  • Verschiedene Rollen vorstellen
  • Rollenkarten erstellen
  • Teilnehmende für das Rollenspiel festlegen
  • Planen des Szenenaufbaus/ der Sitzordnung
  • Einstellen der Zuschauer auf ihre Rolle als teilnehmende Beobachtende
  • Verteilung der Beobachtungsaufgaben
  • Rollenspielende lesen ihre Rollenkarten und sammeln Argumente für das Rollenspiel.
  • Alle Schülerinnen und Schüler, außer den Rollenspielenden, lösen Aufgaben zur Informationskarte
     

(3) Rollenspielphase

Die Teilnehmenden spielen das Rollenspiel, die anderen Schülerinnen und Schüler verfolgen die Diskussion der Rollenspielenden und bilden sich eine eigene Meinung, notieren Beobachtungen. Es kann sinnvoll sein, einen zweiten und dritten Durchgang durchzuführen und die Durchgänge danach zu vergleichen.

(4) Diskussionsphase

Diskussion in der Klasse über die vorgebrachten Argumente der Rollenspielenden

(5) Ergebnisphase

Durch die/den Spielleitende/n, die Lehrenden oder Schülerinnen und Schüler werden die Ergebnisse der Diskussion zusammengefasst.

(6) Generalisierungsphase

Alle Schülerinnen und Schüler erhalten Informationen, die über das spezielle Thema des Rollenspiels hinaus allgemeine Erkenntnisse vermitteln. Weitere Rollenspieldurchgänge können das Ergebnis bestätigen oder vertiefen.

(7) Transferphase

Die gewonnenen Informationen und Erkenntnisse aus dem Rollenspiel ermöglichen die Lösung anderer Fallsituationen.

2. Varianten des Rollenspiels

Rollenspiele können nach Kaiser/Kaminski (2012, 138 f.) – je nach didaktischer Ausgestaltung – in unterschiedlichen Varianten eingesetzt werden. Bei einem spontanen bzw. offenen Rollenspiel entscheiden die Lernenden selbst, wie sie in der jeweiligen Situation handeln. Die Rollenspielphase wird ohne Anleitung der Spielleiterin/des Spielleiters durchgeführt. Bei der szenischen Kurzdarstellung werden bestimmte Phänomene zum Gegenstand des sozialen Lernens gemacht. Die Lehrkraft greift Ereignisse aus dem Schulleben auf und schafft soziale Situationen für das Spiel im Unterricht. Beim didaktisch angelegten Rollenspiel werden die dargestellten Konfliktfälle und Entscheidungssituationen in einen systematischen Lernprozess eingebettet. Die Lehrkraft wählt das Rollenspiel in pädagogisch-didaktischer Absicht aus, strukturiert es vor und legt den Spielrahmen fest. Sie gibt Informationen und Hinweise zum Spielverlauf und steuert somit den Lernprozess. Eine weitere Variante stellt das Soziodrama dar. Es wird eingesetzt, um Konflikte und Probleme, die innerhalb einer Gruppe auftreten, mittels dramatischen Durchlebens zu lösen und ein Übungsfeld für das Treffen von Entscheidungen zu schaffen. Beim Psychodrama handelt es sich um eine psychotherapeutische Aktionsform, die sich vor allem in Therapie und Pädagogik etabliert hat. Es geht darum, innere oder zwischenmenschliche Konflikte zu bearbeiten. Diese letzte Variante verlangt allerdings den psychotherapeutisch geschulten Fachmann (Rebmann 2002, 62 f.)

3. Bewertungskriterien für Rollenspiele

Rebmann (2002, 90 ff.) nennt verschiedene Merkmale, anhand derer sich die didaktisch-methodische Qualität von Rollenspielen bewerten lässt: • Inwieweit erfüllt das Rollenspiel den Aspekt der Authentizität der Kommunikationssituation auf die es sich bezieht? • Inwieweit wird die Differenz zwischen Rolle und Rollenspieler, aus der sich die Schutzfunktion für den Spieler ergibt, einbezogen? • Inwieweit werden materiale, formale und personale Fähigkeiten (z. B. Kulturtechniken, Problemlöse- und Entscheidungsfähigkeit, Solidarität, Einfühlungsvermögen) gefördert? • Weiterhin lässt sich die didaktisch-methodische Qualität anhand der folgenden drei Schlüsselstellen feststellen (Rebmann 2002, 92): (1) Qualifikation des Spielleiters Von der Lehrkraft wird erwartet, dass sie wahrnehmbare Signale bzgl. der Einhaltung von Normen aussenden kann. Weiterhin muss sie Sanktionen in bestimmten Situationen ertragen können und während des Rollenspiels eine eher responsive Haltung einnehmen. Zudem sind bspw. Fähigkeiten zur Sichtbarmachung von Rollendistanz, zur Selbstdarstellung und Ambiguitätstoleranz sowie zur Empathie wichtig, um ein Rollenspiel erfolgreich leiten zu können.

4. Kritische Würdigung des Rollenspiels

Je nachdem, welche Variante des Rollenspiels eine Lehrkraft einsetzt, bedarf es einer mehr oder weniger starken systematisch-methodischen Strukturierung des Lernprozesses. Das Rollenspiel verlangt von der Lehrkraft ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen in ihrer Funktion als Spielleiterin. Sie sollte sich während der Spielphase im Hintergrund halten und niemals ohne zwingenden Grund eingreifen. Auch mit Vorschlägen oder Kritik sollte sie sich zurückhalten. Das Rollenspiel bietet hier gerade die Möglichkeit, dass die Lernenden spielerisch soziale Verhaltenswiesen erproben können, ohne bei entsprechendem Fehlverhalten ernsthafte Sanktionen bzw. Konsequenzen befürchten zu müssen. So können sie im Spiel „straffrei“ Erfahrungen sammeln. Rollenspiele konfrontieren die Lernenden mit Problemsituationen, die sie durch spielerisches Handeln bewältigen sollen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Lernenden immer mit Begeisterung dabei sind und sich bspw. weigern, vor der Klasse eine Rolle zu übernehmen, mit deren Inhalte sie sich zudem vielleicht auch gar nicht identifizieren können. Weiterhin nehmen Lernende das „Rollenspiel“ auch nicht genügend ernst und nutzen die Gelegenheit, sich vor der Klasse zu produzieren, indem sie die zugewiesenen Rollen parodieren oder karikieren. Um diesen „Gefahren“ vorzubeugen, empfiehlt Meyer (1987, 365), Rollenspiele regelmäßig durchzuführen und das Spiel nach jeder Phase anhand von sachbezogenen Kriterien im Plenum zu diskutieren.

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