Erkundung
Durchführung unter unterschiedlichen Aspekten
Nach dem Kerncurriculum für die Oberschule im Fach Wirtschaft (Niedersachsen) kann eine Erkundung unter berufskundlichen, funktionalen, sozialen, ökonomischen oder arbeitskundlichen Aspekten durchgeführt werden.
Die Schülerinnen und Schüler …
- können am Ende von Schuljahrgang 9 eine Erkundung unter Anleitung vorbereiten, durchführen und auswerten.
- können am Ende von Schuljahrgang 10 eine Erkundung selbstständig vorbereiten, durchführen und auswerten
Definition
Erkunden bedeutet „unter bestimmten Fragestellungen in methodisch durchdachter Form in einem bestimmten Wirklichkeitsbereich Informationen einzuholen, um anschließend mit Hilfe der so gewonnenen Informationen jene Ausgangsfragen zu beantworten und die Teilantworten zu einem (kleineren oder größeren) Erkenntniszusammenhang weiterentwickeln zu können.“ (Klafki 1970, 86).
Hintergrund
Die Erkundung lässt sich als außerschulische Maßnahme beschreiben, die in der Regel von allen Schülerinnen und Schülern einer Klasse oder Lerngruppe im Rahmen einer mehrstündigen Exkursion durchgeführt wird. Diese steht im Zusammenhang mit ausgewählten Inhaltsschwerpunkten, die in einen unterrichtlichen Kontext eingebunden sind (Behrens 1980, 17).
Während der Erkundung verlassen die Lernenden den Lernort Schule, um sich durch eigene Anschauung und im unmittelbaren Kontakt mit der Realität über ökonomische Sachverhalte zu informieren, die in der Regel außerhalb ihres Lebens- und Erfahrungsraumes liegen. Solches Lernen außerhalb der Schule intendiert, schulische Lernprozesse durch sinnlich konkrete Wahrnehmung, sozialen Kontakt und praktische Erfahrung zu ergänzen.
Erkundungen versus Besichtigungen
Erkundungen gilt es gegen so genannte Besichtigungen abzugrenzen, die im Rahmen der ökonomischen Bildung eine lange Tradition haben. Hinsichtlich der Lernwirksamkeit von Besichtigungen gibt es eine Reihe von kritischen Einwänden, die am Beispiel der Betriebsbesichtigung in folgender Weise zusammengefasst werden können (Neugebauer 1977, 221; Scherl 2001, 51):
…Besichtigungen im Wirtschaftsunterricht
Bei der Besichtigung steht die Gewinnung eines Einblicks in das gesamte Unternehmen im Vordergrund. In der Regel ist dies eine vom Unternehmen gesteuerte Veranstaltung ohne Begleitmaßnahmen und ohne Integration in ein unterrichtliches Konzept. Aus diesen Merkmalen einer Besichtigung ergeben sich auch deren didaktische Nachteile. Besichtigungen neigen zu undifferenzierter Oberflächlichkeit, erlauben Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern i. d. R. nur eine passive Rolle, überfordern Lernende durch eine Fülle von Eindrücken und haben im Hinblick auf den Unterrichtserfolg zumeist nur eine geringe Effizienz. Besichtigungen sind darüber hinaus in aller Regel nicht in einen unterrichtlichen Zusammenhang eingebettet, sondern sind eher eine zufällige Einzelmaßnahme, zumeist ohne inhaltliche Vor- und Nachbereitung. Dadurch besteht die Gefahr, dass Schülerinnen und Schüler die vielfältigen, unsystematisch gewonnenen Eindrücke nur in geringem Maße strukturieren und verarbeiten können. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass Besichtigungen immer dann ihre Berechtigung haben, wenn sie eine Anschauung der Realität vermitteln, die so zu keinem anderen Zeitpunkt stattfinden kann.
…Erkundungen im Wirtschaftsunterricht
Die Merkmale der Erkundung lassen sich im Gegensatz zur Besichtigung in folgender Weise beschreiben:
- Erkundungen schaffen die Möglichkeit, Fragen und Probleme, die aus der Unterrichtsarbeit erwachsen durch unmittelbare Begegnungen zu veranschaulichen und zu klären.
- Erkundungen werden im Unterricht vorbereitet.
- Erkundungen verfolgen nicht alle möglichen Aspekte unter denen etwas besichtigt werden kann, sondern beschränken sich auf Teilbereiche, die sich als Veranschaulichung oder Informationsquelle für ein im Unterricht behandeltes Thema anbieten.
- Schülerinnen und Schüler gehen mit konkreten Fragestellungen und Beobachtungsaufgaben, die im Unterricht erarbeitet worden sind, in den jeweiligen Erkundungsbereich.
- Das während der Erkundung zusammengetragene Informationsmaterial wird im nachbereitenden und im weiteren Unterricht ausgewertet (Kaiser 1974, 241).
Beschreibung
1. Verlaufsstruktur
Eine Erkundung erfolgt in den Phasen Vorbereitung, Durchführung und Auswertung. Im Folgenden werden diese Phasen in Form einer Checkliste dargestellt (Kaminski 2017, 269 f.):
(1) Vorbereitung
Inhaltlich
- Beobachtungs- und Befragungsschwerpunkte festlegen
- Informationen zum Erkundungsbetrieb einholen
- Erkundungsunterlagen entwickeln (Fragebogen, Beobachtungsleitfaden)
- Beobachtungs- und Befragungstechniken üben
- Organisatorisch-technische Absprachen treffen, Verhalten im Betrieb
Organisation
- Kontaktaufnahme mit Betrieben; Absprache für die Erkundung; Erkundungsschwerpunkte (Ablauf der Erkundung, Betreuung, Fotografieren, Interviews etc.)
- Rechts- und Versicherungsfragen abklären
- Schulleitung informieren, notwendige Genehmigungen einholen
- Vertretung regeln Arbeitsmittel bereitstellen
- Kostenfrage (Fahrt- und Verpflegungskosten) regeln
(2) Durchführung
- Einweisung der Gruppen
- Durchführung der Erkundungsaufgaben
- Festhalten der Ergebnisse auf einem Erkundungsbogen
- Abschlussgespräch (Sach- und Verständnisfragen; Fragen, die durch Beobachtung nicht geklärt werden konnten)
- Abschließende Absprachen (evtl. weitere Erkundungen, Betriebsangehörige als Experten im Unterricht)
(3) Auswertung
- Sammlung der Erkundungsergebnisse
- Systematische Auswertung der Erkundungsergebnisse
- Präsentation der Erkundungsergebnisse (z. B. in einem Bericht in der Schülerzeitung)
- Welche Bedeutung haben die Informationen für den weiteren Unterricht
2. Varianten und Funktionen von Erkundungen
2.1 Varianten
Bei der Erkundung lassen sich verschiedene Varianten unterschieden: Einzel- bzw. Alleinerkundungen, Gruppenerkundungen, gemeinsame Klassenerkundung und Klassenerkundung mit Erkundungsaufträgen einzelner Gruppen.
Einzel- bzw. Alleinerkundungen können durchgeführt werden, wenn es sich um kleine, relativ einfache Beobachtungsaufgaben handelt, die auch im Rahmen einer Hausaufgabe zu bewältigen sind.
Gruppenerkundungen finden in der Regel während der Unterrichtszeit statt. Sie sind dann angebracht, wenn die Erkundungsaufgaben für Einzelerkundungen zu komplex und für Klassenerkundungen aus inhaltlichen oder organisatorischen Gründen zu aufwändig sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich die Erkundungen auf mehrere Institutionen erstrecken oder wenn die Gegebenheiten des Erkundungsbereichs es nur zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Schülerinnen und Schülern eine Erkundung durchführt. Wenn dies der Fall ist, muss dafür Sorge getragen werden, dass diejenigen, die nicht an der Erkundung teilnehmen konnten, ausreichend informiert werden.
Klassenerkundungen können entweder in Gruppen oder im Klassenverband durchgeführt werden, wobei wiederum bei den Gruppenerkundungen im Klassenverband arbeitsteilig oder nicht arbeitsteilig vorgegangen werden kann.
Entscheidend für die Wahl einer Erkundungsform sind zum einen die Stellung der Erkundung und ihre Einbettung in den Unterrichtsprozess, zum anderen die Bedingungen und Möglichkeiten (Größe, Zeit etc.) des Erkundungsbereichs. Entsprechend der Voraussetzungen und Intentionen ergeben sich verschiedene Kombinationsmöglichkeiten.
Bei der Aspekterkundung werden spezielle Fragestellungen zusammengefasst und zum Erkundungsgegenstand gemacht. So kann beispielsweise unter dem berufsorientierenden Aspekt gezielt nach Informationen gefragt werden. Aspekterkundungen können als Einzel- oder Gruppenerkundungen organisiert werden. Die Bereichserkundung orientiert sich an den betrieblichen Bereichen wie z. B. Beschaffung, Produktion, Lager, Vertrieb. Diese Erkundung kann insbesondere als Vororientierung durchgeführt werden, wenn mit den Unternehmensmitarbeitern, die Gesprächspartner für die Schülerinnen und Schüler sind, entsprechende Absprachen über die zu vermittelnden Informationen getroffen worden sind.
2.2 Funktionen
Im Hinblick auf die Erkundungsziele und inhaltlichen Aspekte können Erkundungen verschiedene Funktionen haben (Neugebauer 1977, 240; Steinmann 1982, 68 ff.), die sich mit unterschiedlichen methodischen Varianten der Erkundung verbinden:
Die Erkundung als Vororientierung (Zugangs-/Erarbeitungserkundung) dient der Einführung in einen neuen Problembereich. Sie verschafft einen ersten Überblick über ein Praxisfeld und vermittelt damit ein Vorverständnis als Voraussetzung für die weitere Beschäftigung mit dem Erkundungsgegenstand. Die Vorbereitung der Erkundung erfolgt hier nicht in der Weise, dass aus bereits im Unterricht behandelten Inhalten Erkundungsaufträge gewonnen werden, sondern es besteht zunächst lediglich Einigkeit über das zu behandelnde Thema und eine grobe Zielsetzung. Bekannt ist ferner die für die Erkundung in Frage kommende Institution. Die Vorbereitung der Lerngruppe besteht im Wesentlichen darin, festzulegen, was man zu diesem Thema wissen möchte bzw. erkunden könnte. Diese Vorgehensweise ist naturgemäß lückenhaft im Hinblick auf die zu behandelnden Inhalte. Das Schwergewicht liegt hier auf dem motivierenden Einstieg und dem Einüben einer Methode entdeckenden Lernens sowie des selbstständigen Problemlösens.
Die Erkundung als Praxisanalyse bzw. Praxistest (Überprüfungserkundungen) dienen der planmäßig vorbereiteten Erhebung von Informationen, die sich auf ein ausgewähltes Problem beziehen und anschließend weiterverarbeitet werden, oder der Überprüfung theoretischer Unterrichtsergebnisse durch die Konfrontation mit der Praxis. Hier fungieren die Erkundungsaufträge als Methode zur Festigung und Relativierung bereits erarbeiteter Lerninhalte. Aus den im Unterricht behandelten Themen und Sachverhalten werden Fragestellungen und Beobachtungsaufgaben entwickelt, die durch die Erkundung überprüft werden. Dabei kann es aber durchaus sein, dass sich in der Vorbereitung dieser Erkundung offene Fragen ergeben, die dann dazu führen, dass Elemente der Vororientierung auch in der Überprüfung mit enthalten sind, also überprüfendes mit entdeckendem Lernen verbunden wird.
Sinnvoll kann auch die Kombination unterschiedlicher Erkundungstypen sein, z. B. Vororientierung, schulische Erarbeitung, Praxisanalyse. Die angesprochenen Funktionen der Erkundung in einem Unterrichtskonzept sind nicht ausschließlich an diese Methode gebunden, sondern können auch von anderen Unterrichtsverfahren oder Medien übernommen werden.
Die Debatte kann auch in Verbindung mit einem Expertengespräch geführt werden. Dafür ist eine Planungsphase nötig, in der u.a. geprüft wird, wer sich als Experte zum angedachten Thema eignet und wie viele Experten eingeladen werden sollten. Zudem sollte ausreichend Zeit für die Absprache zu Termin und Inhalt der Diskussion eingeplant werden. Ebenso sollte die Rolle der Schülerinnen und Schüler im Vorfeld abgestimmt sein. Die Teilnehmenden der Diskussion sollten vor dem Expertengespräch und der Diskussion ausreichend Zeit zur Informationsbeschaffung bekommen, um sich entsprechend auf die Debatte vorzubereiten. Die Diskussion als solche verläuft in der Umsetzung ähnlich dem oben aufgeführten Schema.
3. Kritische Würdigung der Erkundung
Ein wesentlicher Vorteil der Erkundung gegenüber anderen Methoden ergibt sich durch die unmittelbare Begegnung mit der Realität. Den Lernenden wird ein Tätigwerden in Form von Planung und Durchführung von Erkundungsaufträgen ermöglicht. Trotz der allgemeinen Akzeptanz der Methode besteht die Gefahr, dass sich der gewünschte unterrichtliche Erfolg nicht einstellt. Diese Gefahr liegt vor allem darin, dass der „Praxisbezug“ selbst schon als ausreichendes Ziel der Erkundung angesehen wird. Damit verbunden ist häufig eine ungenügende Einbindung der Erkundung in einen unterrichtlichen Kontext und die Orientierung der Methode an Erkundungsaspekten. In der Literatur findet man funktionale, berufskundliche, soziale, technologische, ökonomische und arbeitskundliche Aspekte. Solche Aspekte können eine analytische Hilfe für die Lehrkraft bei der Auswahl von Erkundungsinhalten und -zielen sein. Letztlich muss aber deutlich werden, was mit einer Erkundung gelernt werden soll. Darüber hinaus sind der Stellenwert und die Funktion einer Erkundung in einem komplexen Lernprozess im Rahmen von Unterrichtskomplexen oder -einheiten von zentraler Bedeutung. Das bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung und Funktion des Methodeneinsatzes nachvollziehen können müssen.