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Fallstudie

Lebenswirklichkeit und Praxis im Unterricht

Nach dem Kerncurriculum für die Oberschule im Fach Wirtschaft (Niedersachsen)werden am Beispiel konkreter Situationen Entscheidungsfähigkeiten vermittelt und eingeübt. Die Schülerinnen und Schüler analysieren Entscheidungssituationen in einem aus der Realität gewonnenen Fall, suchen nach Lösungsmöglichkeiten, entscheiden sich für eine Alternative und vergleichen diese mit der realen Entscheidung.

Die Schülerinnen und Schüler …

  • beschaffen sich am Ende von Schuljahrgang 10 selbstständig Informationen zu einem konkreten Fall und arbeiten die Informationen sachgerecht aufarbeiten
Definition

Eine Fallstudie bezieht sich auf einen konkreten Fall der Lebenswirklichkeit und Praxis. Mit diesem werden die Lernenden konfrontiert, diskutieren ihn, suchen nach alternativen Lösungsmöglichkeiten, entscheiden sich für eine Alternative, begründen sie und vergleichen getroffene Entscheidung mit der Wirklichkeit. Die Methode dient dazu den Lernenden Entscheidungsfähigkeiten zu vermitteln (Kaiser/Kaminski 2012, 110). Die praktischen Fälle aus dem Wirtschaftsleben können beispielsweise aus dem Wirtschaftsteil der Zeitung entnommen werden.

Hintergrund

Ihren Anfang nahm die Methode der Fallstudie im Jahr 1908 mit dem Verzicht der Lehrerschaft an der Harvard Business School (HBS) (Boston) auf die traditionelle Vorlesung. Anstelle dessen traten Diskussionen um konkrete und realistische Fälle aus dem Wirtschaftsleben. Seitdem hat sich an der HBS eine ganze Fallsammlung entwickelt (vgl. Kaiser 1976, 54). Die Verbreitung der Fallstudie als Methode im Unterricht steht in Verbindung mit dem Bestreben, einen praxisnahen und handlungsorientierten Unterricht zu gestalten. Insbesondere in Fächern wie Arbeits- oder Wirtschaftslehre oder auch Gesellschaftslehre, Geschichte oder Geographie der allgemeinen und beruflichen Schulen hat die Bearbeitung praktischer Fälle Einzug gehalten (Kaiser/Kaminski 2012, 110). Den didaktischen Prinzipien der Reformpädagogik besonders nahestehend rückt die Methode der Fallstudie die Lernenden schon sehr früh in den Fokus. So beschreibt Koisol (1975, 33) die Methode wie folgt: „Die Methode der praktischen Fälle fördert das selbständige Kennenlernen von Sachzusammenhängen in hohem Maße, gibt […] ständig Impulse zum Nachforschen. Es gilt aufzuspüren, welche noch fehlenden Kenntnisse erworben werden müssen, wo sich Informationslücken befinden und welche Überlegungen anzustellen sind, um die Problemlösung zu finden. Die Aneignung des Wissens und die methodische Einkreisung erfolgt stets in selbständiger Arbeit.“

Beschreibung
1. Verlaufsstruktur

Der idealtypische Ablauf einer Fallstudie lässt sich in sechs Phasen gliedern (Kaiser/Kaminski 2012, 111):

(1) Konfrontation

In dieser Phase werden die Lernenden mit dem Fall konfrontiert mit dem Ziel, dass sie die Problem- und Entscheidungssituation erfassen können. Anhand des Materials, welches in dieser Phase an die Lernenden weitergegeben wird, werden sie mit der Situation vertraut gemacht. Materialien können dabei sowohl ein Streitgespräch beinhalten als auch die Darstellung verschiedener Meinungen, verschiedene Argumente und/oder eine Kurzbeschreibung der Situation mit evtl. einer Karte.

(2) Information

Nach der Konfrontation mit der Problem- und Entscheidungssituation gilt es in dieser Phase, die erhaltenen Informationen in Kleingruppen zu analysieren, auszuwerten und zu bewerten und mögliche fehlende Informationen selbständig einzuholen. Ebenso gilt es, die unterschiedlichen Meinungen und Argumente zu sammeln und für eine Entscheidungsfindung vorzubereiten. Das Ziel dieser Phase ist es, sich die nötigen Informationen für eine Entscheidungsfindung einzuholen und zu bewerten.

(3) Exploration

In dieser Phase erfolgt eine Diskussion alternativer Möglichkeiten in der Kleingruppe, um so auch in Alternativen zu denken. Die Lernenden sollen in einer gegebenen Situation nach mehreren Lösungen suchen und nicht im eindimensionalen Denken verharren.

(4) Resolution

Nach einer Gegenüberstellung und Bewertung der Lösungsvarianten wird eine Entscheidung in Gruppen getroffen. Jede Alternative birgt dabei Vor- und Nachteile und auch unterschiedliche Konsequenzen, die es zu überblicken und zu durchdenken gilt, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Wichtig ist, dass die Lernenden erkennen, dass es manchmal Situationen gibt, die eine Entscheidung unabdingbar machen, auch wenn diese nicht einfach zu treffen ist. Eine Entscheidungsübersicht hilft, die Vor- und Nachteile wie auch die Konsequenzen systematisch zu erfassen und diese zu diskutieren.

(5) Disputation

In der Phase der Disputation verteidigen die einzelnen Gruppen ihre Entscheidungen mit dem Ziel, dies auch mit entsprechenden Argumenten zu untermauern. In dieser Phase können die Lernenden prüfen, ob ihre Entscheidung auch der Kritik des Plenums standhalten kann.

(6) Kollation

In dieser Phase werden die getroffenen Entscheidungen der Lernenden mit denen der Wirklichkeit verglichen (sofern hier schon Entscheidungen getroffen wurden). So kann für die Lernenden erkennbar werden, wie und unter welchen Bedingungen politische Entscheidungen getroffen werden.

2. Bewertung der Fallstudie

Der sechsphasige Verlauf stellt hier einen idealtypischen Ablauf einer Fallstudie dar und simuliert einen Entscheidungsverlauf. Allerdings muss der Lernprozess nicht in diesem Verlaufsmuster strukturiert sein, sondern es kann im Ablauf Vor- und Rückgriffe geben oder eine langsamere bzw. schnellere Bearbeitung erfolgen oder gar Phasen wiederholt oder übersprungen werden. Schlussendlich sollte deutlich werden, dass es bei der Bearbeitung der Fälle um die Abhängigkeiten realer Phänomene und weniger um logische Ableitungen geht. Die Fallstudie zeichnet sich dabei dadurch aus, dass die gewonnenen Erkenntnisse der Wirklichkeit entstammen und nicht Ausgedachtem und Konstruiertem. Für den unterrichtlichen Einsatz ist dabei zu bedenken, dass Wertvorstellungen und Wertkonflikte in Entscheidungsprozessen leitend sind (Kaiser/Kaminski 2012, 115).

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