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Expertenbefragung

Fachleute aus Wirtschafts- und Arbeitswelt im Unterricht

Nach dem Kerncurriculum für die Oberschule im Fach Wirtschaft (Niedersachsen) werden bei der Erkundung meist außerschulisch tätige Fachleute aus der Wirtschafts- und Arbeitswelt in den Unterricht geholt oder direkt an ihrem Wirkungsort zur Informationsgewinnung befragt. Dabei werden unterschiedliche Interviewtechniken angewandt.

Die Schülerinnen und Schüler …

  • führen am Ende von Schuljahrgang 9 ein vorstrukturiertes Interview mit einem Experten/ einer Expertin durch
  • führen am Ende von Schuljahrgang 10 ein selbstständig entwickeltes Interview mit einem Experten/ einer Expertin durch.
Definition

Nach Kaminski (2017, 267) beinhaltet eine Expertenbefragung „alle Formen von Informationsprozessen, in denen Fachleute aus der Arbeits- und Wirtschaftswelt Lernende Auskünfte erteilen. Expertenbefragungen finden normalerweise entweder am Wirkungsort des Experten, z. B. im Rahmen einer Betriebserkundung, oder in der Schule statt“.

Hintergrund

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit komplexen ökonomischen Sachverhalten gewinnt Expertenwissen zunehmend an Bedeutung. Damit werden Befragungen von und Interviews mit entsprechenden Expertinnen und Experten zu wesentlichen Instrumenten der Informationsbeschaffung. Die Tatsache, dass dieser methodische Zugang im Vergleich zur Erkundung bzw. zum Betriebspraktikum i. d. R. wesentlich weniger organisatorischen Aufwand erfordert, stellt den hohen Nutzenwert von Expertenbefragungen zur Veranschaulichung ökonomischer Sachverhalte dabei nicht in Frage. Frackmann definiert eine Expertenbefragung als „eine ermittelnde Befragung, bei der sich die Befragungsperson durch einschlägiges Wissen auszeichnet und Zielobjekt der Informationsbeschaffung ist“ (1980, 34). Damit wird eine erste Definition eines Experten geliefert. Grundsätzlich ließe sich der Begriff durch die Begriffe „Sachverständiger“, „Kenner“ oder „Fachmann“ ersetzen. Bei der Auswahl einer Expertin bzw. eines Experten zwecks Befragung im unterrichtlichen Zusammenhang sollte jedoch von einer zu stark eingegrenzten Definition abgesehen werden. Die Wahl hängt von der fachlichen Kompetenz, nicht vom Grad der Professionalität ab. „Experte bedeutet in diesem Zusammenhang […] schlicht, dass jemand in den Unterricht kommt, der über seine Tätigkeit, seinen Arbeitsalltag berichtet und so gesehen im Wirtschaftsunterricht zum Fachmann für die Praxis wird. Ein überhöht gewerteter Expertenbegriff sollte daher nicht zur Barriere für die Unterrichtspraxis werden.“ (Wolf 1991, 46)

Beschreibung
1. Verlaufsstruktur

In Anlehnung an Kaiser/Kaminski (1999, 305 ff.) und Kaminski (2017, 267) lässt sich die Verlaufsstruktur wie folgt darstellen:

(1) Vorbereitung

Im Vorfeld sind Absprachen über Ziele und Durchführung der Befragung zu treffen. Für die Befragung, die entweder in der Schule oder am Wirkungsort des Experten (z. B. Unternehmen) stattfinden kann,

  • werden Fragen ausgearbeitet,
  • Aufgabenverteilung und Arbeitstechniken festgelegt
  • sowie die Interviewtechnik (siehe unten) für die Befragung ausgewählt
  • und sich auf den Ablauf Expertenbefragung und die Art der Ergebnissicherung geeinigt
     

(2) Durchführung

Die Durchführung ist entsprechend abhängig von den gewählten Vereinbarungen und Arbeitstechniken. Beispielsweise können Expertenbefragungen je nach Themenbereich mit einem Experten oder auch mit mehreren Interessenvertretern durchgeführt werden. Neben der Befragung, bei deren Durchführung eine spätere Präsentation der Ergebnisse u. U. schon vorbereitet werden (z. B. durch Fotos, Videorecorder, Tonband) muss, können die Sachverständigen auch direkt in unterrichtliche Aktivitäten – bspw. die Durchführung eines Rollenspiels – eingebunden werden.

(3) Auswertung

Notizen und Aufzeichnungen werden in Reinschrift gebracht und zusammengefasst. Mögliche Fragestellungen für eine differenzierte Auswertung: • Welche objektiven Sachinformationen wurden gegeben? • Welche Aussagen waren personen- bzw. interessengeleitet? • Welche Aussagen stellen die subjektive Meinung des Experten dar? Die Ergebnisse der Befragung werden diskutiert und ggf. präsentiert, z. B. in Form einer Dokumentation, Webseite, eines Beitrags in der Schülerzeitung und schließlich in den unterrichtlichen Zusammenhang eingebettet.

2. Varianten und Funktionen der Expertenbefragung

Grundsätzlich lassen sich drei didaktische Funktionen von Expertenbefragungen unterscheiden (Wolf 1991, 47):

  • Wissensvermittlung – Die Schülerinnen und Schüler erhalten sachkundige Informationen.
  • Motivation – Die Einbeziehung von Expertinnen und Experten ist dazu geeignet, das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Unterrichtsstoff zu verstärken.
  • Übung praktischer Erfahrungen – Neben dem Wissenserwerb trainieren die Schülerinnen und Schüler z. B. sachgerechtes Informationsverhalten.

Nimmt man die organisatorischen Vorzüge der Expertenbefragung hinzu – sie stellt eine Form von Realbegegnung mit dem geringsten organisatorischen Aufwand dar -, so wird die besondere Attraktivität dieses methodischen Zugangs noch einmal besonders deutlich.

Man kann verschiedene Varianten des Experteneinsatzes im Unterricht unterscheiden. So kann die Expertin bzw. der Experte von den Schülerinnen und Schülern befragt werden, sie bzw. er kann in diesem Zusammenhang ein Referat halten. Es ist aber auch denkbar, dass eine Einbindung in weitere Unterrichtsaktivitäten (beispielsweise Teilnahme an einem Rollenspiel) stattfindet. Bei der klassischen Expertenbefragung lässt sich grundsätzlich unterscheiden zwischen

  • derjenigen, die am Wirkungsort der Expertin bzw. des Experten, also außerhalb der Schule stattfindet und
  • derjenigen, zu der die Expertin bzw. der Experte in die Schule kommt.

Die erste Variante wird oft im Zusammenhang mit einer Erkundung durchgeführt. Im Falle der zweiten Variante spricht man von einer Expertenbefragung „im engeren Sinne“.

Interviewtechniken

Zur Befragung einer Expertin bzw. eines Experten stehen grundsätzlich drei verschiedene Interviewtechniken zur Verfügung, die im Folgenden mit ihren wesentlichen Charakteristika kurz vorgestellt werden.

(1) Strukturiertes Interview

Die Reihenfolge und die Formulierungen der Fragen werden präzise festgelegt. Gleiches gilt für die Festlegung der die Befragung durchführenden Personen. Dadurch wird der planmäßige Verlauf des Interviews gesichert. Eine Vertiefung bzw. Ausweitung des Interviews ist allerdings kaum bzw. nicht möglich.

(2) Teilstrukturiertes Interview

Die Reihenfolge und die wesentlichen Inhalte der Fragen werden in Form eines Leitfadens festgelegt. Die endgültigen Formulierungen und die Reihenfolge der Fragen können dann der konkreten Situation entsprechend flexibel angepasst werden.

(3) Unstrukturiertes Interview

Es wird nur das Ziel der Befragung festgelegt, die Formulierungen und die Bestimmung der Reihenfolge der Fragen erfolgen im Verlauf der Befragung. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass Diskussionen entstehen, in deren Rahmen zusätzliche Informationen vermittelt werden. Allerdings ist bei dieser Form der Befragung die Gefahr relativ groß, dass im Verlauf des Gesprächs von der eigentlichen Zielsetzung abgewichen wird.

Die Entscheidung, welche der genannten Interviewtechniken eingesetzt wird, hängt von zwei Faktoren ab (Frackmann 1980, 34):

  • Der Kompetenz der Schülerinnen und Schüler. Hier spielen insbesondere der Kenntnisstand über den zu erfragenden Sachverhalt (inhaltliche Kompetenz), die Fähigkeit zur gezielten Fragestellung und kontrollierten Gesprächsführung (Sprachkompetenz) und die Fähigkeit zu geplanter Vorgehensweise (Methodenkompetenz) eine wesentliche Rolle.
  • Der didaktischen Funktion der Befragung im unterrichtlichen Gesamtzusammenhang. Es stellt sich die Frage, ob Sachverhalte gezielt abgefragt oder vorhandene Erkenntnisse vertieft bzw. erweitert werden sollen.

Selbstverständlich sind auch die Kompetenzen und Bedürfnisse der Expertin bzw. des Experten bei der Wahl der Interviewtechnik zu berücksichtigen. Darüber hinaus können konkrete Formen der Befragungen aus technischen Gründen die Wahl einer bestimmten Interviewtechnik erforderlich machen. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass Befragungen via Email i. d. R. eine geschlossene Form vorweisen. Grundsätzlich gilt als ein wesentliches didaktisches Ziel der Befragungen „die Fragekapazität der Schüler graduell so zu entwickeln, dass gewonnene Informationen jeweils die sachliche und inhaltliche Basis für neue, nach Möglichkeit selbständige Informationsnachfrage bilden.“ (Frackmann 1980, 34)

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